Auge liefert Hinweise auf schleichende Gefäßerkrankung

28.02.2022 – Forschende der Universität und des Universitätsklinikums Bonn haben eine Methode entwickelt, die sich zur Diagnose der Arteriosklerose eignen könnte. Mit einer selbstlernenden Software konnten sie bei Patienten mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit (paVK) Gefäßveränderungen oft schon im Frühstadium identifizieren. Der Algorithmus nutzte dazu Fotos dem Auge.

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Die Augen gelten als Fenster zur Seele. Prosaischer könnte man sie aber auch als Fenster zu unseren Gefäßen bezeichnen. Denn der Augenhintergrund – fachsprachlich: Fundus – ist sehr gut durchblutet. Das muss er auch sein, damit die mehr als 100 Millionen Fotorezeptoren in der Netzhaut sowie die mit ihnen verschalteten Nervenzellen ihre Arbeit verrichten können. Gleichzeitig lassen sich die Arterien und Venen ohne viel Aufwand durch die Pupille beobachten und fotografieren.

Eventuell lassen sich mit einer solchen Untersuchung künftig Frühzeichen einer Arterienverkalkung erkennen. Sie ist Hauptursache von Herzinfarkt und Schlaganfall, den häufigsten Todesursachen in den westlichen Industrienationen, sowie der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (paVK).

Mehr als vier Millionen Menschen hierzulande leiden unter einer paVK. Weil sie in den ersten Jahren meist keinerlei Beschwerden verursacht, erfolgt die Diagnose oft erst, wenn schon Folgeschäden eingetreten sind. Die Konsequenzen können langfristig  fortschreitende Durchblutungsstörungen in den Beinen und Armen sogar eine Amputation nach sich ziehen. Zudem ist das Risiko für einen tödlichen Herzinfarkt oder Schlaganfall deutlich erhöht – und das schon in frühen Stadien der Erkrankung.

Eine frühe Diagnose ist daher sehr wichtig, um die Betroffenen rechtzeitig therapieren zu können. Das interdisziplinäre Projekt der Informatik der Universität Bonn sowie der Augenklinik und des Herzzentrums des Universitätsklinikums Bonn setzt genau dort an. Die Forschenden haben 97 Augen von Frauen und Männern fotografiert, die unter einer paVK litten. Bei mehr als der Hälfte von ihnen war die Krankheit noch in einem Stadium, in dem sie keine Beschwerden verursachte. Zusätzlich nahm das Team den Hintergrund von 34 Augen gesunder Kontrollpersonen mit der Kamera auf.

Neuronales Netz erkennt frühe Gefäßveränderungen

Mit den Bildern fütterten sie dann ein künstliches neuronales Netzwerk (KNN). Dabei handelt es sich um eine Software, die in ihrer Funktionsweise dem menschlichen Gehirn nachempfunden ist. Wenn man ein solches KNN mit Fotos trainiert, deren Inhalt dem Rechner bekannt ist, dann kann dieser später den Inhalt unbekannter Aufnahmen erkennen. Damit das mit ausreichender Sicherheit klappt, benötigt man jedoch im Normalfall mehrere zehntausend Trainings-Fotos – weitaus mehr, als in der Studie zur Verfügung standen.

Die Wissenschaftler*innen haben daher zunächst ein Vortraining mit einer anderen Erkrankung durchgeführt, die die Gefäße im Auge angreift. Dazu nutzten die Forschenden einen Datensatz von mehr als 80.000 zusätzlichen Fotos. Der Algorithmus lernt aus ihnen gewissermaßen, worauf er besonders achten muss. Das Forscherteam spricht daher auch von Transfer-Lernen.

Das so trainierte KNN konnte anhand der Augenfotos mit bemerkenswerter Genauigkeit diagnostizieren, ob sie von einem paVK-Patienten oder einem Gesunden stammten. Gut 80 Prozent aller Betroffenen wurden korrekt identifiziert, wenn die Wissenschaftler 20 Prozent falsch-positive Fälle in Kauf nahmen – also Gesunde, die der Algorithmus fälschlicherweise als krank klassifizierte. Das sei erstaunlich, denn selbst für geschulte Augenärztinnen und -ärzte ist eine paVK anhand von Fundus-Bildern nicht zu erkennen.

In weiteren Analysen konnten die Forschenden zeigen, dass das neuronale Netz bei seiner Beurteilung vor allem auf die großen Gefäße im Augenhintergrund achtet. Für ein möglichst gutes Ergebnis benötigte das Verfahren allerdings digitale Aufnahmen mit einer ausreichend hohen Auflösung. Viele KNNs arbeiten mit sehr gering aufgelösten Fotos. Das reiche aus, um größere Veränderungen zu erkennen. Für die paVK-Klassifikation der Forschenden wird dagegen eine Auflösung benötigt, bei der Details der Gefäßstrukturen erkennbar bleiben.

Die Forschenden hoffen, in Zukunft die Leistung ihres Verfahrens weiter zu verbessern. Sie wollen dazu weltweit mit Augenheilkunde- und Gefäßmedizin-Zentren kooperieren, die ihnen weitere Fundus-Aufnahmen von Betroffenen zur Verfügung stellen. Langfristiges Ziel ist es, eine einfache, schnelle und zuverlässige Diagnosemethode zu entwickeln, die keine begleitenden Eingriffe wie die Verabreichung von Augentropfen erfordert.

Originalpublikation

Mueller S, Wintergerst MWM et al. Multiple instance learning detects peripheral arterial disease from high-resolution color fundus photography. Sci Rep 12, 1389 (2022).