Die Autoimmunkrankheit Zöliakie wird durch den Verzehr des Klebereiweißes Gluten verursacht, das in verschiedenen Getreiden wie Weizen, Roggen, Gerste und Dinkel enthalten ist. Bei Menschen mit Zöliakie löst bereits die Aufnahme kleinster Mengen glutenhaltiger Nahrungsmittel eine fehlgeleitete Immunreaktion aus, die zu einer Entzündung und Schädigung der Dünndarmschleimhaut führt. Als eine der Hauptursachen für die Erkrankung gilt eine genetische Veranlagung. So sind nahezu alle Betroffenen Träger mindestens eines der sogenannten Humanen Leukozyten-Antigene (HLA) DQ2 oder DQ8. Die individuelle Erbanlage kann dabei sowohl das Risiko als auch den Schweregrad der Zöliakie beeinflussen. Betroffene mit einer höheren Gendosis, insbesondere mit zwei identischen Kopien von HLA-DQ2, weisen in vielen Fällen eine stärkere Immunreaktion auf Gluten und schwerere Zöliakiesymptome auf.
In der Folge einer Zöliakie können die Betroffenen weniger Nährstoffe aus der Nahrung aufnehmen. Unbehandelt kann die Zöliakie zu schwerwiegenden Komplikationen wie Blutarmut, Knochenschwund, Wachstumsverzögerungen, Unfruchtbarkeit bis hin zu Dünndarmtumoren führen.
Die bisher einzige wirksame verfügbare Behandlungsmöglichkeit ist eine streng glutenfreie Diät (GFD). Allerdings ist diese für die Betroffenen sehr belastend und schwer einzuhalten. Häufig kommt es auch zu einer minimalen versehentlichen Glutenaufnahme, was bei fast der Hälfte der behandelten Patient*innen trotz GFD zu anhaltenden Symptomen führt.
Transglutaminase 2 löst stark erhöhte Immunreaktion im Darm aus
Ein Mainzer Forschungsteam unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Dr. Detlef Schuppan, Direktor des Instituts für Translationale Immunologie der Universitätsmedizin Mainz, hat in Zusammenarbeit mit den Unternehmen Zedira GmbH (Darmstadt) und Dr. Falk Pharma GmbH (Freiburg) ein neuartiges Medikament zur Behandlung der Glutenunverträglichkeit entwickelt: den Transglutaminase-Hemmer ZED1227. Der Wirkstoff basiert auf früheren Erkenntnissen der Arbeitsgruppe zu den krankheitsspezifischen Mechanismen bei Zöliakie. Eine wesentliche Rolle spielte dabei die Entdeckung des körpereigenen Enzyms Transglutaminase 2 (TG2), das im gesamten Darm vorkommt. Die Forschungsgruppe um Professor Schuppan fand heraus, dass TG2 von der Dünndarmschleimhaut aufgenommene Glutenbruchstücke enzymatisch so verändert (deamidiert), dass sie besser an die HLA-Moleküle DQ2 oder DQ8 der Zöliakiebetroffenen binden und damit eine stark erhöhte Immunreaktion im Darm auslösen. Die Wirksamkeit von ZED1227 beruht auf seiner Fähigkeit, die überschießende Aktivität des Enzyms TG2 in der Dünndarmschleimhaut zu hemmen und so die entzündliche Immunantwort zu verhindern. In einer klinischen Phase 2a-Studie mt 160 Patient*innen zeigte ZED1227 eine starke schützende Wirkung auf die Dünndarmschleimhaut (Schuppan et al, New England Journal of Medicine, 2021). Dadurch konnten die Gluten-bedingte Entzündung, die Erkrankungssymptome sowie die Lebensqualität der Zöliakiebetroffenen verbessert werden. Diese klinische Studie hat gezeigt, dass den Zöliakiepatient*innen mit dem Transglutaminase-Hemmer ZED1227 zukünftig erstmals unterstützend zur glutenfreien Diät eine wirksame medikamentöse Therapieoption zur Verfügung stehen könnte, die ihnen zusätzlich einen erheblichen Zugewinn an Sicherheit und Lebensqualität ermöglicht.
Den immunologischen Mechanismen hinter der Wirksamkeit von ZED1227 auf der Spur
Das Ziel der aktuellen Untersuchung war es, die immunologischen Mechanismen, die der Wirksamkeit von ZED1227 zugrunde liegen, weiter zu entschlüsseln. Im Rahmen der Studie wurden Gewebeproben (Biopsien) aus dem Dünndarm von insgesamt 58 Zöliakiepatient*innen analysiert. Die Biopsien wurden nach einer langfristigen glutenfreien Diät und erneut nach einem sechswöchigen Zeitraum entnommen, in dem die Patient*innen täglich drei Gramm Gluten sowie zusätzlich entweder 100 mg des Wirkstoffs ZED1227 (34 Studienteilnehmende) oder ein Placebo (24 Studienteilnehmende) erhielten. Um die Genaktivität im Dünndarm zu untersuchen, extrahierten die Wissenschaftler*innen aus den Gewebeproben Ribonukleinsäure (RNA) und analysierten sie mit Hilfe einer neuartigen Sequenzierungstechnologie. Die RNA spielt eine zentrale Rolle bei der Übertragung genetischer Informationen.
Gabe von ZED1227 normalisiert die glutenbedingte Entzündung
Die Messung der Genaktivität zeigte, dass die Gabe von ZED1227 die glutenbedingte Entzündung, dominiert vom entzündlichen Botenstoff Interferon-gamma, vollständig normalisiert und damit die Schädigung der Dünndarmschleimhaut wirksam verhindert. Zudem kehrte bei den Studienteilnehmenden, die das Medikament erhielten, auch die Aktivität der für die Aufnahme von Vitaminen und Spurenelementen verantwortlichen Gene auf das Niveau vor dem sechswöchigen Zeitraum mit Glutenbelastung zurück. Eine weitere wichtige Erkenntnis der Analyse: Die Wirksamkeit von ZED1227 wurde wesentlich von der individuellen HLA-DQ2/8-Gendosis der Patient*innen beeinflusst.
Originalpublikation
Dotsenko V, Tewes B, Hils M et al. Transcriptomic analysis of intestine following administration of a transglutaminase 2 inhibitor to prevent gluten-induced intestinal damage in celiac disease. Nat Immunol 2024.
Quelle: Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz