SARS-CoV-2: Kontakt mit saisonalen Coronaviren begünstigt milden Verlauf von COVID-19

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COVID-19 verhindern kann sie nicht, aber sie hat nach aktuellen Erkenntnissen eines Forscherteams der Medizinischen Fakultät der Universität Münster (WWU) am Universitätsklinikum Münster (UKM) einen protektiven Effekt: eine frühere Infektion mit dem saisonalen Coronavirus OC43.

Gleich zwei Studien der Arbeitsgruppe zeigen, dass vorausgegangene Infektionen mit einem der vier bereits vor der Pandemie global zirkulierenden humanen Coronaviren (HCoV-229E, HCoV-NL63, HCoV-HKU1 und HCoV-OC43), die meist nur saisonale, harmlose Infekte der oberen Atemwege auslösen, vor einem schweren Verlauf von COVID-19 schützen können. Die Forscher empfehlen deshalb, dass OC43-Antikörper bei stationär aufgenommenen COVID-19-Patienten gemessen und als Teil der Risikobewertung betrachtet werden.

Beide Studien belegen, dass im Vergleich zu anderen COVID-19-Patient*innen vor allem jene Patient*innen kritisch erkrankten, bei denen sich keine Antikörper gegen das sogenannte Nukleokapsid-Protein von HCoV OC43 nachweisen ließen. Neben einer vorausgegangenen Infektion spielen zudem der Zeitpunkt ab dem 40. Lebensjahr und das Geschlecht eine erhebliche Rolle. In einer Pilotstudie waren 17 der 19 Patienten mit Intensivtherapie Männer im Alter von 50 bis 65 Jahren.

Die Forscher*innen haben auch in der Folgestudie keine signifikanten Unterschiede im Krankheitsverlauf feststellen können, unabhängig davon, ob die Patient*innen 40, 60 oder 80 Jahre alt waren, sofern keine schweren Vorerkrankungen vorlagen. Patient*innen in der zweiten Lebenshälfte, insbesondere Männer ohne OC43-Antikörper, hatten generell ein deutlich erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf. Die Wissenschaftler*innen fordern mit Blick auf die Daten, die aktuelle Impfstrategie auf Personen ab 40 Jahren auszurichten. Insgesamt waren etwa 20 Prozent der untersuchten Patient*innen OC43-Antikörper negativ.

UKM testet Patienten seit März auf OC43-Antikörper

Aufgrund der Erkenntnisse plädiert das Forscherteam außerdem dafür, sich bei COVID-19-Patienten bei der Risikobewertung nicht rein auf ein fortgeschrittenes Alter und Vorerkrankungen zu stützen. Mit der zusätzlichen Bestimmung der Antikörper gibt es ihnen zufolge in der Pandemie einen weiteren Baustein, um diese sehr komplexe Erkrankung COVID-19 zu verstehen. Die Testung auf OC43-Antikörper sei mittels eines preiswerten kommerziellen Testes zuverlässig möglich. Mit einer Blutprobe könne man innerhalb kurzer Zeit ein Ergebnis liefern, so die Forscher*innen. Damit sei es kein Problem, diesen Parameter bei allen stationär aufgenommenen Patient*innen zu erheben. Am Universitätsklinikum Münster erfolgt das bereits seit März für alle COVID-19-Patient*innen, um diese je nach Ergebnis sehr engmaschig zu überwachen. Mit der Testung liege erstmalig eine Screeningmöglichkeit vor, aus der eine Prognose für den Krankheitsverlauf abgeleitet und neue Therapiemöglichkeiten bei COVID-19 für diejenigen Patienten genutzt werden kann, die sie am meisten benötigen, sind die Wissenschaftler überzeugt.

Die Idee, vorangegangenen Infektionen auf den Grund zu gehen, stammt unter anderem aus den Ergebnissen der im Frühjahr 2020 initiierten Coronaplasma-Studie des UKM mit 4010 Teilnehmern aus ganz Deutschland. Unter den Personen mit mildem COVID-Verlauf hatten sehr viele Kontakt zu Kindern unter zehn Jahren. Daraus sei die Hypothese entstanden, dass eine sogenannte childhood-related infection, also zum Beispiel eine Erkältung, die Eltern und Pädagogen von Kindern weitergegeben bekommen, einen protektiven Effekt gegen COVID-19 haben kann.

Quelle: Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Originalpublikationen

Journal of Clinical Virology
International Journal of Infectious Diseases,