Wenn Gerüche zur Belastung für Menschen mit Migräne werden

12.09.2022 – Ein Drittel der Menschen mit schwerer und langjähriger Migräne besitzt offenbar eine permanente Geruchsüberempfindlichkeit – auch zwischen ihren Migräneattacken. Besonders betroffen sind Patienten mit längerer Erkrankungsdauer der Migräne und höherer migränebedingter Alltagseinschränkung sowie mit Aura. Das hat eine neue Studie ergeben.

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Schätzungen gehen davon aus, dass in Deutschland 8 bis 10 Millionen Personen von einer Migräne betroffen sind (​2).​ Migräne ist weltweit in der Altersgruppe 15-49 Jahre auf dem ersten Platz aller Erkrankungen gemessen an der Beeinträchtigung (years lived with disability) (3).​ Migränepatient*innen sind bekanntlich sehr häufig sensorisch empfindlich nicht nur für Gerüche, sondern auch für Licht und Geräusche.

Am häufigsten empfinden Migränepatient*innen süßes Parfüm (36 Prozent), Essensgerüche (22 Prozent) und Zigarettenrauch (12 Prozent) als störend. Je länger und je stärker sie unter ihrer Erkrankung leiden, desto häufiger ist diese Überempfindlichkeit gegen Gerüche, genannt Osmophobie, festzustellen. Etwa 30 Prozent der Patienten nennen Gerüche auch als Auslöser für Migräneattacken.

Diese neuen Daten stammen aus einer gemeinsamen Studie des UniversitätsSchmerzCentrums (USC) und des Interdisziplinären Riechzentrums des Universitätsklinikums Dresden (1). Die Querschnittstudie (1) basiert auf einer Befragung von 113 Personen (99 weiblich, 14 männlich) im Alter von 19 bis 78 mit episodischer oder chronischer Migräne. Die Krankheit wurde mit der International Classification of Headache Disorders III von einem spezialisierten Neurologen bewertet. Der Schweregrad der Migräne wurde mit dem Migraine disability assesment score (MIDAS) ermittelt.

Bekannt war bisher, dass Gerüche Migräneattacken auslösen können. Neu ist, dass Patient*innen mit längerer Erkrankungsdauer der Migräne und höherer migränebedingter Alltagseinschränkung häufiger eine Geruchsüberempfindlichkeit zeigen als weniger betroffene. Bei Migräneformen mit Aura tritt die Geruchsempfindlichkeit doppelt so häufig auf wie bei Formen ohne Aura. Neben süßem Parfüm, Essensgerüchen und Zigarettenrauch wurden von den Studienteilnehmer*innen besonders häufig auch Abgase, abgestandene Raumluft, Blumenduft, Lack- und Gasgeruch erwähnt.

Aktivierung eines ganzen Schmerzsystems

Die Studie legt nahe, dass die unangenehmen Düfte nicht nur den Riechnerv (N. olfactorius) aktivieren, sondern auch den Trigeminusnerv, der für die Schmerzwahrnehmung am Kopf verantwortlich ist. Das olfaktorische und das trigeminale System sind auf neuronaler Ebene miteinander verbunden. So kann man etwa im Versuch nachweisen, dass eine Reizung des Trigeminusnervs Aktivitäten der olfaktorischen, also für Geruchswahrnehmung zuständigen Hirnareale auslöst. Auch die Riechschleimhaut ist von sensorischen Fasern des Trigeminus durchzogen. Diese enge Vernetzung von Duft- und trigeminalen Schmerzsystem bietet einen Erklärungsansatz, warum Düfte Kopfschmerzen auslösen können. Bei Corona-Infizierten konnte beobachtet werden, dass sie längere und schwerere Migräneschübe aufwiesen. Man nimmt an, dass die Verstärkung der Migräne über die Infektion der Riechschleimhäute und die Entzündung der Trigeminus-Nervenfasern durch SARS-CoV-2 verursacht wird.

Desensibilisierungstherapie in der Erforschung

Das Vermeiden der Geruchstrigger könnte ein Ansatz für neue Therapieformen sein. Vielversprechender und nachhaltiger sei aber der aktuell beforschte Ansatz der Desensibilisierung für unangenehme Düfte, so die Forschenden. An der Kopfschmerzambulanz am Universitätsklinikum Dresden finden auch therapeutische Studien statt. So trainierten Versuchspersonen ihren Geruchssinn regelmäßig mit z.B. Rosen- und Zitronendüften. Daraufhin nahm die Kopfschmerzstärke zwar nicht ab, aber die Schmerzwahrnehmungsschwelle stieg. Das heißt: Nach dem Riechtraining waren die Betroffenen weniger empfindlich für Schmerzreize. Diese Daten aus einer Studie mit Kindern mit Migräne wurden aktuell in einer Therapiestudie mit Erwachsenen mit Migräne bestätigt. Derzeit ist die Untersuchung der zugrundeliegenden Gehirnmechanismen mittels MRT Gegenstand der wissenschaftlichen Untersuchungen.

Quellen
  1. Gudrun Gossrau, Marie Frost, Anna Klimova, Thea Koch, Rainer Sabatowski, Coralie Mignot, Antje Haehner. J Headache Pain. 2022 Jul 15;23(1):81. Interictal osmophobia is associated with longer migraine disease duration. doi: https://doi.org/10.1186/s10194-022-01451-7
  2. Pfaffenrath V, Fendrich K, Vennemann M et al. Regional variations in the prevalence of migraine and tension-type headache applying the new IHS criteria: the German DMKG Headache Study. Cephalalgia. 2009;29(1):48-57. doi:10.1111/j.1468-2982.2008.01699.x
  3. Steiner T, Stovner L, Vos T, Jensen R, Katsarava Z. Migraine is first cause of disability in under 50s: will health politicians now take notice? J Headache Pain. 2018;19(1):17.  doi:10.1186/s10194-018-0846-2

Quelle: Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG)