Heilpraktiker sind keine Antisemiten und Rechtsextreme!

04.01.2021 - Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Dr. Felix Klein, hat in einer Pressekonferenz vor wachsendem Antisemitismus im Zusammenhang mit Anti-Corona-Demonstranten gewarnt. Dabei nannte er Heilpraktiker*innen in einem Atemzug mit Antisemitismus und Rechtsextremisten. Das wollte BDH-Präsident Sümper so nicht stehen lassen und ist in einen fruchtbaren Dialog mit Dr. Klein getreten.

Dr. Felix Klein, dessen offizieller Titel „Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus“ lautet, hatte in der Bundespressekonferenz am 24.11.2020 über die Gefahr steigenden Antisemitismus durch die Corona-Leugner-Szene gesprochen. Die Bewegung sei ein Sammelbecken von Unzufriedenen mit den Infektionsschutz-Maßnahmen der Regierung, Esoterikern, Heilpraktikern, Verschwörungstheoretikern sowie Reichsbürgern und offenen Rechtsextremisten. Diese Gleichsetzung von Heilpraktikern mit Antisemiten und Rechtsextremen hat nicht nur viele Kolleg*innen erzürnt, sondern auch BDH-Präsident Ulrich Sümper dazu veranlasst, Kontakt mit dem Antisemitismusbeauftragten aufzunehmen. Denn eine solche Gleichsetzung erfordert nicht nur massiven Widerspruch, sondern auch aufklärenden Dialog. Daraus hat sich ein fruchtvoller Austausch ergeben.

Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Dr. Felix Klein

Was war passiert? Dr. Felix Klein wollte in der erwähnten Pressekonferenz darauf aufmerksam machen, dass sich immer häufiger auch antisemitische Elemente unter die Parolen der Anti-Corona-Gruppierungen mischen, was nicht von der Hand zu weisen ist, wenn sich beispielsweise vermeintliche Opfer von Corona-Maßnahmen der Regierung mit Anne Frank oder Sophie Scholl vergleichen. Wörtlich sagt er „Judenhass ist im Zuge der Corona-Pandemie weiter angestiegen. In vielen Kreisen ist er wieder gesellschaftsfähig geworden und er verbindet bei den Protesten gegen die Infektionsschutzmaßnahmen politische Milieus, die vorher wenig oder gar keine Berührungspunkte hatten. Und das ist wirklich neu! Das Spektrum reicht von Esoterik-Begeisterten über Heilpraktiker und Friedensbewegte bis zu Reichbürgern und offen Rechtsextremen, die diese Demonstrationen als Mobilisierungsforum benutzen. Antisemitisch mindestens aufladbare Verschwörungsmythen und ganz offene Erzählungen über angeblich geheime Mächte im Hintergrund sind derzeit das Hauptvehikel dieser Erzählungen.“

Dass sich Klein gegen den verstärkt aufkeimenden Antisemitismus scharf verwahrt, ist wichtig, richtig und nachvollziehbar. Allerdings ist weder die Nennung eines Berufsstands noch die Diffamierung von Friedensaktivisten in diesem Zusammenhang angemessen. Deshalb schrieb Ulrich Sümper, Präsident des Bundes Deutscher Heilpraktiker e.V., nach der Pressekonferenz an den Antisemitismusbeauftragen: „Ich bin entsetzt über ihre öffentlichen Erklärungen, in denen Sie Heilpraktiker mit Esoterikern, Reichsbürgern und Rechtsextremen gleichsetzen und so in Kauf nehmen, dass ein ganzer Berufsstand in die rechte Ecke geschoben und des Antisemitismus verdächtig wird. Ich war sehr überrascht, dachte ich doch, diese Form der politischen Rhetorik sei überwunden.“ Allerdings stimme der BDH in der Absage an jegliches antisemitische und rechtsradikale Gedankengut völlig überein, die Übergriffe der letzten Monate seine unerträglich und dürften sich nicht wiederholen. Er vermute auch, dass Klein, seine Äußerungen so nicht gemeint und eher eine unglückliche Formulierung gewählt habe.

Antisemitische Tendenzen erfordern Widerspruch

Klein reagierte prompt und stellte Sümper gegenüber klar, was er mit seinen Aussagen eigentlich bezweckt habe. Er hätte den Blick darauf lenken wollen, dass die in den letzten Wochen erfolgten antisemitischen Grenzüberschreitungen im Zuge der Proteste gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen Widerspruch erforderlich machen. Die für die Proteste maßgebliche „Querdenken“-Bewegung ziehe dabei Menschen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen an – aus der Mitte der Gesellschaft ebenso wie problematische, extremistische Gruppen – und motiviert sie zu gemeinsamem Handeln. Dabei sei zu beobachten, dass antisemitische Narrative als Bindeglieder verwendet werden. Das sei in dieser Form neu und müsse der Politik und der Gesellschaft in Deutschland zu denken geben. Es gehöre zu seinen Aufgaben als Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus, auf den wachsenden Judenhass aufmerksam zu machen. Verschwörungsmythen und Holocaust-Relativierungen seien keine legitime Kritik. Dabei spiele es selbstverständlich keine Rolle, ob sie beispielsweise von Lehrer*innen, Software-Programmierer*innen, Ärzt*innen, Anwält*innen oder eben Heilpraktiker*innen geäußert werden.

Klein bedauert, dass falscher Eindruck entstanden ist

Natürlich gäbe es in allen Berufsständen die unterschiedlichsten politische Ansichten und es fänden sich unter den Protestierenden Angehörige verschiedenster Berufe. Wie Sümper daher zutreffend vermutet habe, hätte er bei seinen Ausführungen in der Bundespressekonferenz keine Pauschalierungen gegenüber allen Heilpraktiker*innen in Deutschland vornehmen wollen. Sollte dadurch der Eindruck entstanden sein, dass er allgemein die Heilpraktiker*innen oder alle Menschen aus der Friedensbewegung in unserem Land als Mitverantwortliche dieser Entwicklung betrachte, dann bedaure er dies ausdrücklich. Darüber hinaus liege es ihm fern, jede Kritik gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen als antisemitisch zu bezeichnen. Vielmehr sei Kritik eine Grundvoraussetzung demokratischer Meinungsbildung. Wichtig sei aber, gegen Judenhass zusammenzustehen, denn er bedrohe unsere Gesellschaft als Ganzes. Antisemitismus müsse von überall her bekämpft werden, gleichgültig ob er von links, von rechts oder aus der Mitte der Gesellschaft kommt.

Sümper bestätigte Klein noch einmal, dass sich der BDH, ebenso wie die Verbände der Gesamtkonferenz Deutscher Heilpraktikerverbände und Fachgesellschaften, ausdrücklich von allen nicht-demokratischen und radikalen, insbesondere rechtsradikalen Gruppierungen, desgleichen auch von Corona-Leugnern distanziere. Antidemokratisches und antisemitisches Denken und Handeln sei dem BDH fremd und wird es auch bleiben.

Klein und Sümper wollen künftig im Austausch bleiben, auch zum Thema Heilpraktikergesetz, dass ja nach wie vor eins der Gesetze aus der Zeit des Nationalsozialismus ist.

Einseitige mediale Berichterstattung prägt das Bild des Berufsstands in der Öffentlichkeit

Es bleibt die Frage, wieso Dr. Felix Klein ausgerechnet Heilpraktiker als einzige Berufsgruppe im Zusammenhang mit Antisemitismus und Rechtsextremisten nennt. Nachvollziehbarer mag das werden, wenn man sich die Rolle einiger Medien und deren tendenziöser Berichterstattung über den Berufsstand der Heilpraktiker vor Augen führt. Diese setzt sich zunehmend in den Köpfen der Gesellschaft fest. Ganz besonders dürfte die Berichte (u.a. des Tagesspiegels oder Fokus online im Zusammenhang mit den Aktivitäten einer Heilpraktikerin auf einer der Anti-Corona-Demonstration beigetragen haben. Hier ist der Beruf einer angeblich den Reichsbürgern nahestehenden Heilpraktikerin immer wieder erwähnt worden, nach dem diese im Rahmen einer Anti-Corona-Demonstration zum „Sturm auf den Reichstag“ aufgerufen hatte. Die Nennung des Berufsstands ist bei einer solchen Berichterstattung (milde formuliert) ungewöhnlich. Dass sie so aber erfolgte, hat Methode und trägt zu einem verzerrten Bild unseres Berufsstands in der Öffentlichkeit bei, wie sich möglicherweise in den so nicht beabsichtigten Äußerungen Dr. Kleins gezeigt haben könnte.

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