Anlass vor über zwei Jahren waren drei tragische Todesfälle, für die sich ein Heilpraktiker aus Brüggen-Bracht vor Gericht verantworten muss. Ohne in ein laufendes Verfahren einzugreifen, mag es sich um einen strafbaren Einzelfall handeln, der nach Recht und Gesetz abgehandelt werden muss und wird. Deshalb aber in Vorwegnahme eines Urteils von allen möglichen Seiten über einen ganzen Berufsstand herzufallen und offensichtlich jede „passende“ Gelegenheit zu nutzen, sich einer ungeliebten – aber bei Patienten hoch respektierten – Konkurrenz zu entledigen, ist eigentlich ein bisschen ärmlich. Vor allem, weil immer wieder dieser strafbare Einzelfall herhalten muss.
Man vergisst dabei, dass man in dieser Zeit selbst zweimal die Jahresstatistiken über die Medizintoten in unserem Lande veröffentlichen musste: Die in die Tausende gehenden ärztlichen Kunstfehler und die Zigtausend jährlichen Medizintoten, die aufwendig und kunstvoll operiert wurden, dann aber an Krankenhauskeimen dahinsiechen und die Kliniken nur noch durch den Hinterausgang verlassen. Hat schon einmal einer danach verlangt, die Verantwortlichen dafür mit einem Berufsverbot zu belegen und in die Wüste zu schicken?
Allerdings: Absicht dieses Kommentars soll es eigentlich nicht sein, wie es einige Gegenkommentare bisher verständlicherweise taten, eine Abwehrschlacht zu vertiefen – oder Gegenschuldzuweisungen ins Feld zu führen –, sondern der Sache einmal ein wenig auf den Grund zu gehen und der Frage nachzuspüren, woher es eigentlich kommt, dass im Bereich der menschlichen Heilkunde mit so harten Bandagen gekämpft und auf Argumente von anderen so gar nicht mehr sachlich eingegangen wird, sondern der Blick ganz auf die Vernichtung des Andern gerichtet ist?
Man würde denken, dass hinter einem Heilberuf über das Können hinaus auch noch eine ethisch-moralische Grundhaltung verankert sein sollte, die ein unreflektiertes und unbedingtes Herrschaftsstreben einer über den anderen nicht so ohne weiteres zulassen würde.
Wie konnte sich so etwas entwickeln?
Die Angriffe kommen aus dem Bereich der sog. Wissenschaftlichen Medizin, die alles andere als die eigene medizinische Vorgehensweise mit dem Argument der Unwissenschaftlichkeit bekämpft. Diese wissenschaftliche Medizin basiert – wie alle Medizinen seit tausenden von Jahren – auf einem Denkmodell, das allerdings erst Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelt wurde – der Zellularpathologie, die davon ausging, dass es keine „Allgemeinkrankheiten“ gäbe, sondern lediglich lokale Erkrankungen und Zellenkrankheiten.
Damit stand dieses Denkmodell absolut konträr zum bis dahin – seit über 2000 Jahren – in Europa verfolgten Krankheitsmodell der Humoralpathologie, in deren Schau des Menschen in Krankheit und Gesundheit es durchaus Allgemeinkrankheiten gab, deren unterschiedliche Ausprägungen im Verlauf einer Krankheit von der Begegnung einer krankmachenden Ursache mit einer Person auch von deren unterschiedlichen „konstitutionellen“ Gegebenheiten abhängt.