Neue Migräne-Leitlinie der DGN und DMKG: neue Substanzklassen, Stimulationsverfahren und Apps

06.11.2022 – Die vollständig überarbeitete S1-Leitlinie zur „Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne“ der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) umfasst eine breite Palette an Optionen für die akute und prophylaktische Behandlung dieses weitverbreiteten Leidens. Die Leitlinie geht auf die medikamentöse wie auf die nicht medikamentöse Therapie und auf psychotherapeutische Verfahren ein.

Mann mit Kopfschmerzen
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Die aktualisierte S1-Leitlinie „Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne“ [1] steht kurz vor der Publikation. Seit der vorhergehenden Leitlinienversion von 2018 haben sich auf dem Gebiet der medikamentösen Migränebehandlung mit der Zulassung neuer Substanzen Änderungen ergeben. Die Empfehlungen wurden um die aktuelle Evidenz erweitert.

Neues zur medikamentösen Therapie der akuten Migräne

Für die Therapie der akuten Migräne im Erwachsenenalter wurden als Ergänzung zu den etablierten Triptanen Substanzen aus den neuen Substanzgruppen der Gepante (Rimegepant) und Ditane (Lasmiditan) zugelassen. Die Markteinführung beider Substanzen wird erwartet.

Neues zur medikamentösen Migräneprophylaxe

Bei häufigen Migräneattacken reicht die Akuttherapie allein nicht aus. Um die Lebensqualität für Betroffene bei häufigen Attacken zu verbessern und der Entwicklung einer Chronifizierung durch Übergebrauch von Akutmedikamenten vorzubeugen, sollte eine Migräneprophylaxe erfolgen. Ziel ist es, die Frequenz, Stärke und/oder Dauer der Attacken zu reduzieren. Klassische, unspezifische Substanzen sind Betablocker, Amitriptylin, Topiramat, Flunarizin und Onabotulinumtoxin (bei chronischer Migräne) sowie seit 2018 die spezifischen monoklonalen Antikörper gegen CGRP bzw. seinen Rezeptor (Erenumab, Fremanezumab und Galcanezumab). Diese kommen bei Therapieresistenz, Kontraindikation oder Unverträglichkeit gegenüber den klassischen Prophylaxemedikamenten zum Einsatz. Hier steht nun noch ein neuer vierter monoklonaler Antikörper (Eptinezumab) zur Verfügung, der einmal alle zwölf Wochen i. v. appliziert wird.

Nicht medikamentöse Maßnahmen zur Prophylaxe und Therapie

Explizit wird in der neuen Leitlinie bei der Migräneprophylaxe auch auf die Wirksamkeit von nicht medikamentösen und insbesondere verhaltenstherapeutischen Maßnahmen hingewiesen. An erster Stelle sind Ausdauersport und Entspannungstechniken zu nennen, was den Betroffenen auch in dieser Leitlinienfassung angeraten wird. Hocheffektiv wirken weitere verhaltenstherapeutische Verfahren. Die Basis hierfür ist eine individuelle Beratung über die Erkrankung selbst und darüber, wie Lifestyle-Faktoren Einfluss nehmen, zusätzlich können kognitive Verhaltenstherapie und Biofeedback zum Einsatz kommen.

Neu als Möglichkeit zur Behandlung der akuten Migräne in die Leitlinie aufgenommen wurde die nicht invasive Neurostimulation, bei der über Klebeelektroden im Stirnbereich eine externe transkutane Stimulation des Trigeminusnerven erfolgt. Die Leitlinie kommt zu dem Fazit: „Die externe transkutane Stimulation des N. trigeminus im supraorbitalen Bereich ist zur Behandlung von akuten Migräneattacken wirksam.“ Gerade für Betroffene, bei denen aufgrund häufiger Schmerzmitteleinnahme die Gefahr eines Medikamentenübergebrauchskopfschmerzes besteht, kann das Verfahren eine gute Option sein. Eine Kostenübernahme durch die Krankenkassen erfolgt derzeit aber nicht.

Aktualisiert bzw. ergänzt wurden in den Leitlinien auch Hinweise zu unterstützenden Maßnahmen. So werden z. B. bestimmte Smartphone-Applikationen und telemedizinische Angebote zur Unterstützung von Diagnostik und Therapie grundsätzlich empfohlen. Allerdings liegen die Ergebnisse laufender randomisierter kontrollierter Studien zur klinischen Effektivität bzw. Verbesserung der Versorgungsqualität durch diese Apps derzeit noch nicht vor, sodass in der Leitlinie keine abschließende Aussage zum Evidenzgrad getroffen werden kann.

Originalpublikation

[1] Diener HC, Förderreuther S, Kropp P et al. Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne, S1-Leitlinie, 2022, in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Online: www.dgn.org/leitlinien (noch nicht verfügbar)

[2] Goßrau G, Förderreuther S, Ruscheweyh R et al. Konsensusstatement der Migräne- und Kopfschmerzgesellschaften (DMKG, ÖKSG & SKG) zur Therapiedauer der medikamentösen Migräneprophylaxe [Consensus statement of the migraine and headache societies (DMKG, ÖKSG, and SKG) on the duration of pharmacological migraine prophylaxis]. Nervenarzt. 2022 Oct 26. German. doi: 10.1007/s00115-022-01403-1. Epub ahead of print. PMID: 36287216

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V.