Buchtipp: Berthe Obermanns: Und hinter mir das Nichts

02.10.2023 - Auch wenn dieses Buch kein Fachbuch ist, sondern ein Roman, möchte Maren Siems-Bührmann das Buch allen Kolleginnen und Kollegen empfehlen. Sie findet, dass es auf eine wunderbare Art tiefe Einblicke in die Gefühlswelt einer Therapeutin gibt, die einen Patienten durch einen Suizid verloren hat.

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Nach ihrem letzten Buch „Gleich unter der Haut“ hat die Autorin wieder ein sehr beeindruckendes und anspruchsvolles Buch geschrieben, mit dem sie es uns Leser*innen nicht leicht macht. Absolut kein Wohlfühlbuch!

Berthe Obermanns schildert in ihrem neuen Buch die Verzweiflung einer jungen Psychotherapeutin, deren erster Klient sich das Leben genommen hat. Sehr einfühlsam und authentisch beschreibt die Autorin den Schock, die Frage nach dem Warum und die auftretenden Selbstzweifel, nicht gut genug gewesen zu sein und nicht geholfen zu haben sowie das Gefühl des Versagens.

Es ist die Geschichte der jungen Psychotherapeutin Sara, die in einem sehr streng religiösen Elternhaus aufgewachsen ist, in dem es nur um Sünden und Büßen geht, und in dem sie ihre eigenen Traumata erlebte.
Konfrontiert mit dem Suizid ihres ersten Klienten tauchen bruchstückhafte, flashbackartige Szenen aus ihrer Kindheit auf: an das streng religiöse Elternhaus, ihre traumatischen Erlebnisse dort und eine lange zurückliegende Partnerschaft. Diese Erinnerungen folgen keinem roten Faden, nichts erscheint logisch oder real. Wie in einem Alptraum werden wir mit in diese Abwärtsspirale gesogen, in der sich Wahrheit und Lüge, Wahn und Wirklichkeit miteinander vermischen. Sara muss sich nicht nur mit ihren Erinnerungen und dem Suizid ihres Patienten auseinanderzusetzen, sondern auch mit ihren veränderten eigener Wahrnehmungen, mit Fragen zur eigenen Existenz und dem plötzlichen Auftauchen einer jungen Frau: Nikto. Diese weiß alles von ihr und lenkt den Blick auf die psychischen Abgründe, in die sich Sara immer mehr verfängt. Ist Nikto Rettung und Überleben oder führt sie in das Verderben und den Tod?

Berthe Obermanns lenkt uns mit ihrer unvergleichlichen Sprache sehr geschickt durch die literarischen, philosophischen und psychiatrischen Motive in ihrem Roman. Wie auch Beckett stellt sie die Fragen nach Sinnlosigkeit und Selbstentfremdung der Protagonistin.
„Schau, wenn du ein Stein wärst, oder vielleicht auch ein Baum, dann hättest Du keine Wahl, dann müsstest du existieren, ob du willst oder nicht, dann könntest du es nicht beeinflussen, weder dein Leben noch deinen Tod. Aber du, du kannst es.“ (Seite 238)

Und Sara findet eine Antwort. „Ja, ich werde mich stellen, dem Nichts und dem Leben.“ (Seite 246)

Fazit

Das Buch ist nicht angenehm zu lesen. Es fordert heraus, verlangt eine Auseinandersetzung mit sich selbst und regt zum Nachdenken an. Bravo liebe Berthe, Du lässt uns in die Gedankenwelt der Protagonistin blicken und wir werden mit Sara in den Abwärtsstrudel gerissen, um dann nach einer unglaublichen Dramatik unserem Nichts einen Sinn geben zu können. Und wir bekommen einen sehr tröstlichen Satz mit auf den Weg: „Und sprichst du deinen Patienten, indem du dich fragst, was du falsch gemacht hast, nicht seine eigene Freiheit ab? Wenn du davon ausgehst, dass jeder Mensch sein Leben frei gestalten kann, führt dies doch unweigerlich auch zu dem Schluss, dass jeder sein Leben auch frei beenden kann.“

Wie bereits „Gleich unter der Haut“ kann ich diesem Buch eine absolute Leseempfehlung aussprechen.

Bibliografie

Berthe Obermanns: Und hinter mir das Nichts
Osburg Verlag: Hamburg: 2023
Geb., 250 S., 24,00 EUR, ISBN 978-3955103316