Musik lässt das Gehirn langsamer altern

30.04.2023 – Ein Forscherteam hat die positiven Auswirkungen musikalischer Aktivitäten beobachtet, um der normalen Gehirnalterung entgegenzuwirken. Sie konnten zeigen, dass das Üben und aktives Musikhören den kognitiven Rückgang bei gesunden Senioren verlangsamen kann, indem es die Produktion grauer Substanz stimuliert

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Das normale Altern geht zwangsläufig mit einer mehr oder weniger deutlichen Abnahme der kognitiven Leistungsfähigkeit einher. Aber können wir unser Gehirn darauf trainieren, diesen Prozess zu verlangsamen? Ein Team der Universität Genf (UNIGE), der HES-SO Genf und der EPFL hat entdeckt, dass das Üben und aktives Musikhören den kognitiven Rückgang bei gesunden Senior*innen verlangsamen kann, indem es die Produktion grauer Substanz stimuliert. Um diese Ergebnisse zu erzielen, folgten die Wissenschaftler*innen sechs Monate lang mehr als hundert Rentner*innen, die in Klavier- und Musikbewusstseinsunterricht eingeschrieben waren und noch nie zuvor geübt hatten.

Im Laufe des Lebens wird unser Gehirn umgebaut. Seine Morphologie und seine Verbindungen entwickeln sich entsprechend den Erfahrungen und der Umgebung. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn wir neues Lernen integrieren oder die Nachwirkungen eines Schlaganfalls überwinden. Mit zunehmendem Alter nimmt diese „Gehirnplastizität“ ab. Das Gehirn verliert auch graue Substanz, den Sitz unserer wertvollen Neuronen. Dies wird als „zerebrale Atrophie“ bezeichnet.

Allmählich tritt ein kognitiver Rückgang auf. Es betrifft vor allem unser Arbeitsgedächtnis. Es ist die Grundlage vieler kognitiver Prozesse. Zum Beispiel, wenn wir Informationen kurzzeitig festhalten, um ein Ziel zu erreichen, etwa beim Aufschreiben eine Telefonnummer merken oder gar einen Satz aus einer anderen Sprache übersetzen.

Die Studie zeigt, dass das Üben und aktives Musikhören diesen Rückgang verlangsamen könnte. Sie fördern die zerebrale Plastizität und erhöhen so das Volumen der grauen Substanz. Positive Wirkungen wurden auch auf das Arbeitsgedächtnis gemessen. Diese Studie wurde unter 132 Rentner*innen im Alter von 62 bis 78 und bei guter Gesundheit durchgeführt. Eine der Teilnahmebedingungen war, in seinem Leben nicht länger als sechs Monate Musikunterricht genommen zu haben.

Üben versus aktives Zuhören

Die Teilnehmer*innen wurden zufällig in zwei Gruppen eingeteilt, unabhängig von ihrer Motivation, ein Instrument zu üben oder nicht. Die Mitglieder der ersten Gruppe nahmen wöchentlich Klavierunterricht. Die Mitglieder des zweiten, aktiven Hörunterrichts konzentrieren sich insbesondere auf das Erkennen von Instrumenten und die Analyse der Struktur von Werken in einer Vielzahl von Musikstilen. Der Unterricht dauerte eine Stunde. Die Teilnehmer*innen beider Gruppen mussten täglich eine halbe Stunde von zu Hause aus arbeiten.

Positive Effekte in beiden Gruppen

Nach sechs Monaten fanden die Forscher*innen gemeinsame Effekte zwischen den beiden Interventionen. Neuroimaging zeigte bei allen Teilnehmer*innen eine Zunahme der grauen Substanz in vier Regionen des Gehirns, die an kognitiven Funktionen auf hoher Ebene beteiligt sind, insbesondere in Bereichen des Kleinhirns, die im Arbeitsgedächtnis mobilisiert werden. Ihre Leistung stieg um 6 % und dieses Ergebnis korrelierte direkt mit der Plastizität des Kleinhirns. Die Wissenschaftler*innen fanden auch heraus, dass die Schlafqualität, die Anzahl der besuchten Kurse und das tägliche Training einen Einfluss auf den Grad der Leistungssteigerung hatten.

Die Forscher*innen stellten jedoch einen Unterschied zwischen den beiden Gruppen fest: Das Volumen der grauen Substanz blieb im rechten primären Hörkortex der Pianist*innen – einer auf Klangverarbeitung spezialisierten Region – stabil, während es in der anderen Gruppe abnahm. In allen Fällen setzte sich bei allen Teilnehmer*innen ein globaler Atrophieprozess fort. Musikalische Interventionen können also das Gehirn nicht verjüngen, sondern nur die Alterung bestimmter Regionen verlangsamen“, shlußfolgern die Wissenschaftler*innen..

Diese Ergebnisse zeigen, dass das Spielen und Hören von Musik die Plastizität des Gehirns und die kognitive Reserve fördert. Die Autor*innen der Studie glauben, dass diese unterhaltsamen und zugänglichen Interventionen zu einer wichtigen politischen Priorität für die Unterstützung eines gesunden Alterns werden müssen. Für das Team wird der nächste Schritt darin bestehen, das Potenzial dieser Interventionen bei Menschen zu bewerten, die von einem leichten neurokognitiven Rückgang betroffen sind, einem Zwischenstadium zwischen normalem Altern und Demenz.

Originalpublikation

Marie D et al. Music interventions in 132 healthy older adults enhance cerebellar grey matter and auditory working memory, despite general brain atrophy. Neuroimage: Reports 2023. https://doi.org/10.1016/j.ynirp.2023.100166

Quelle: Universität Genf