Orang-Utan behandelt Wunde mit Heilpflanze

06.05.2024 - Forschende beobachteten bei einem Sumatra Orang-Utan, dass er eine Gesichtswunde mit Hilfe eines Pflanzensafts einer Kletterpflanze mit nachgewiesenen entzündungshemmenden und schmerzlindernden Eigenschaften heilte. Die Pflanze Fibraurea tinctoria wird auch in der traditionellen Medizin verwendet.

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Forschende des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie, Konstanz und der Universitas Nasional, Indonesien, haben einen männlichen Sumatra Orang-Utan beobachtet, der eine Gesichtswunde erlitten hatte. Er aß und trug wiederholt mehrere Minuten lang den Pflanzensaft einer Kletterpflanze mit nachgewiesenen entzündungshemmenden und schmerzlindernden Eigenschaften auf die offene Wunde auf. Die Pflanze wird auch in der traditionellen Medizin verwendet. Zum Schluss bedeckte er die gesamte Wunde mit dem zerkauten Pflanzenbrei.

Bestimmte Krankheits- und Vermeidungsverhalten konnte bei Tieren schon häufig beobachtet werden. So ist bekannt, dass Menschenaffen bestimmte Pflanzen zur Behandlung von Parasiteninfektionen zu sich nehmen und Pflanzenmaterial auf ihre Haut reiben, um Muskelschmerzen zu lindern. Kürzlich wurde in Gabun beobachtet, wie eine Schimpansengruppe Insekten auf Wunden auftrug. Die Wirksamkeit dieses Verhaltens ist jedoch noch unbekannt. Bisher wurde eine aktive Wundbehandlung mit einer biologisch aktiven Substanz bei wilden Tieren noch nicht dokumentiert.

Die Kognitions- und Evolutionsbiologen des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie in Konstanz und der Universitas Nasional in Indonesien berichteten nun erstmals über Hinweise auf eine aktive Wundbehandlung mit einer Heilpflanze bei einem wilden männlichen Sumatra Orang-Utan. Seit 1994 beobachten sie wilde Sumatra Orang-Utans in einem geschützten Regenwaldgebiet, das hauptsächlich aus Torfsumpfwald besteht und die Heimat von ca. 150 vom Aussterben bedrohten Sumatra Orang-Utans ist. Bei der täglichen Beobachtung der in der Gegend lebenden Orang-Utans war ihnen aufgefallen, dass ein männlicher Orang-Utan eine Gesichtswunde erlitten hatte, höchstwahrscheinlich während eines Kampfes mit einem benachbarten männlichen Artgenossen.

Drei Tage nach der Verletzung riss der Affe selektiv Blätter einer Liane mit dem gebräuchlichen Namen Akar Kuning (Fibraurea tinctoria) ab, kaute darauf und trug den resultierenden Saft dann mehrere Minuten lang immer wieder auf die Gesichtswunde auf. Als letzten Schritt bedeckte er die Wunde vollständig mit den zerkauten Blättern. Diese und verwandte Lianenarten kommen in tropischen Wäldern Südostasiens vor, sind für ihre schmerzstillende und fiebersenkende Wirkung bekannt und werden in der traditionellen Medizin zur Behandlung verschiedener Krankheiten wie Malaria eingesetzt. Sie enthalten Furano-Diterpenoide und Protoberberin-Alkaloiden, die antibakterielle, entzündungshemmende, antimykotische, antioxidative und andere biologische Wirkungen haben, die für die Wundheilung relevant sind.

In den folgenden Tagen zeigten sich keine Anzeichen einer Wundinfektion bei dem Orang-Utan und nach fünf Tagen war die Wunde bereits geschlossen. Interessanterweise ruhte das Tier auch mehr als sonst, als er verletzt war. Schlaf wirkt sich positiv auf die Wundheilung aus, da die Freisetzung von Wachstumshormonen, die Proteinsynthese und die Zellteilung im Schlaf gesteigert ist.

Absichtliches Verhalten

Wie jedes Selbstmedikationsverhalten bei Tieren wirft der in dieser Studie berichtete Fall die Frage auf, wie beabsichtigt diese Verhaltensweisen sind und wie sie entstehen. Das Verhalten des Tiers schien absichtlich zu sein, da er nur seine Gesichtswunde an seinem rechten Backenwulst mit dem Pflanzensaft behandelte und keine anderen Körperteile. Das Verhalten wiederholte er mehrmals und trug nicht nur den Pflanzensaft, sondern später auch das zerkaute Pflanzenmaterial auf, bis die Wunde vollständig bedeckt war. Der gesamte Vorgang nahm eine beträchtliche Zeit in Anspruch, berichten die Forschenden.

Da das Verhalten bisher nicht beobachtet wurde, ist die Wundbehandlung mit Fibraurea tinctoria möglicherweise bislang im Verhaltensrepertoire der Suaq-Orang-Utan-Population nicht vorhanden. Es sei möglich, dass die Wundbehandlung mit Fibraurea tinctoria intuitiv erfolgt sei. Einzelne Tiere können versehentlich ihre Wunden berühren, während sie von dieser Pflanze fressen, und so unbeabsichtigt den Saft der Pflanze auf ihre Wunden auftragen. Da Fibraurea tinctoria eine starke analgetische Wirkung hat, können die Tiere eine sofortige Schmerzlinderung verspüren, was dazu führt, dass sie das Verhalten mehrmals wiederholen.

Originalpublikation

Laumer, I.B., Rahman, A., Rahmaeti, T. et al. Active self-treatment of a facial wound with a biologically active plant by a male Sumatran orangutan. Sci Rep 14, 8932 (2024). https://doi.org/10.1038/s41598-024-58988-7

Quelle: Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie